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Späte Freiheiten
aus: Balsam für die Seele
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Der Koffer und
das kleine Handgepäck waren gepackt. Herbert Sonntag freute sich riesig auf
das vor ihm liegende Wochenende, wenn auch mit Herzklopfen. Diese hatten
aber bei weitem nichts mit seinem Alter, er war 72 Jahre, zu tun. Nein, das
war die Liebe. Dabei hatte er seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren eher
gedacht, er würde ihr schon bald in seiner tiefen Trauer folgen. Erst als
sein Hausarzt ihn drastisch vor die Alternative "Kur oder Kiste" stellte,
kam die Einsicht. Als ehemaliger Filialleiter einer Bank lebte er in sehr
guten wirtschaftlichen Verhältnissen und so wirkte die Sanatoriumskur wie
ein wahrer Jungbrunnen. Nicht zuletzt weil dieser Therese Wolf hieß. Mit
ihr lernte er wieder zu Leben. Zwar bemerkten seine Kinder schnell seine
Veränderungen, aber bei Herberts erzkonvervativen Lebenseinstellung war der
Gedanke an eine neue Frau völlig abwegig. Herbert ließ sie in dem Glauben
und vermied es, dass seine Kinder Therese zu Gesicht bekamen. Noch! Denn an
diesem Wochenende sollte die Entscheidung bezüglich einer gemeinsamen
Zukunft mit Therese fallen.
Eine noble
Hotelanlage, mit allem Komfort, hatte Herbert als Rahmen für angemessen
gehalten. Auch diese Seite des Lebens hatte er erst durch Therese
kennen gelernt. Früher, du liebe Zeit, das war so weit zurück, war er
ein Pfennigfuchser gewesen, passend zu seinem Beruf. Außerdem hatte er fünf
Kinder und die Familiengründung fiel in eine nicht gerade rosige Zeit. Da
musste man das Geld zusammenhalten und richtig wirtschaften. Heute konnte
er die Früchte seiner Saat genießen! Mit seiner verstorbenen Luise hätte er
einen solchen Wandel nie vollzogen. Sie hätten ihr Leben weiter so sparsam
gelebt, wie sie es nun einmal kannten.
Therese sah
umwerfend in dem lindgrünen Bademantel aus, als sie untergehakt mit Herbert
in die Fitnessoase der Hotelanlage ging. Herbert hatte bei seiner Kur
erstmals eine Sauna betreten und sich dabei einfach großartig gefühlt.
Dieses gute Gefühl lag nicht zuletzt auch an Therese, die ihm ausgerechnet
auf der Saunabank Platz machte.
Im Duschraum war
es wie in einer Waschküche. Herbert entdeckte noch zwei freie Duschen. Eine
ausgelassene Stimmung herrschte dort und beim Einseifen von oben bis unten
sahen alle, fast, gleich aus. Therese gab Herbert das Duschmittel und ihm
fiel es prompt aus der feuchten Hand. Nass wie er war, trat er auch noch
beim Aufheben der Flasche einer jungen Dame in die Hacken und mit dem Wasser
in den Augen kam er fast blind suchend einer anderen Dame an die Waden,
die, selbst eingeschäumt, erschrocken kreischte. Schnell half Therese
Herbert aus dieser Lage und reichte ihm einen halbwegs trockenen
Waschlappen. Er putzte sich durchs Gesicht und wollte gerade zu einer
Entschuldigung ansetzten.
"Opa, du?" kreischte die junge Dame auf der einen Seite, die Augen
erschrocken aufgerissen, ihn von oben bis unten musternd und als auf der
anderen Seite, wie ein Echo:
"Papa, du?" erscholl, hatten sie nicht nur alle Aufmerksamkeiten auf sich
gezogen, es herrschte auch schlagartig peinliche Stille. Als Therese dann
auch noch Herbert ansprach, erklang zweistimmig ein überraschtes "Herbert?"
und ihre Blicke wanderten zwischen der Dame und Herbert irritiert hin und
her.
"Was machst du denn eigentlich hier, Papa?" fauchte seine Tochter Rita ihn
von der Seite an.
"Wonach sieht es denn aus?" fragte Herbert gelassen.
"Das kann ja wohl
nicht wahr sein!" giftete ihn auch noch seine Enkelin Julia an. "So was
peinliches, und das vor meinen Freundinnen!" gestikulierte sie mit
wütenden Blicken in Richtung zweier Mädchen, die mit gesenkten Köpfen den
Duschraum verließen.
"Wenn es dir peinlich ist", konterte' Herbert, "warum gehst du dann in die
Sauna, noch dazu in eine gemischte? Ich sehe schließlich auch nicht
anders aus als alle anderen Männer, oder?" und begann unbeeindruckt
mit seiner Dusche.
"Was machst du eigentlich hier?" zischte Rita ihren Vater an. "Wir sind
hier mit Geschäftsfreunden von Jochen und wollen ein erholsames Wochenende
verbringen!"
"Na und, ich hindere euch nicht daran. Ich will hier auch ein erholsames
Wochenende verbringen. Also, lasst euch nicht aufhalten!" forderte er sie
auf und drehte den Duschhahn zu. Er ging zu seinem Handtuch, nahm Therese
und machte sich mit ihr auf den Weg in den Schwitzkasten. Dabei drehte er
sich noch einmal um und meinte ganz beiläufig:
" Bei passenderer Gelegenheit werde ich euch auch mal Therese vorstellen.
Viel Spaß noch", sprachs und schloss hinter sich die Tür. |